erstellt von Florian Aigner (Presseaussendung TU Wien vom 13.06.2017)
Alte Brücken nach neuen Normen zu beurteilen ist schwierig. Untersuchungen der TU Wien zeigen: Viele Brücken sind deutlich stabiler als gedacht, teure Sanierungen sind oft unnötig.
Es
ist eine Entscheidung, die mit sehr hohen Kosten verbunden sein kann:
Welche Brücken müssen in nächster Zeit saniert werden, und welche
befinden sich noch in gutem Zustand? Viele Spannbetonbrücken in
Mitteleuropa wurden in den 1950er und 1960er-Jahren gebaut. Die
Brückenbautechnik hat sich seither geändert, die Normen ebenfalls – aber
das bedeutet noch lange nicht, dass diese Brücken unsicher sind.
An
der TU Wien wurde nun die Tragfähigkeit von Spannbetonbrücken mit Hilfe
großangelegter Experimente und Modellrechnungen genau untersucht. Dabei
zeigte sich, dass aktuelle Normen das Tragvermögen der Brücken oft
deutlich unterschätzen. Die Brücken sind robuster als gedacht, teure
Sanierungen kann man sich daher in vielen Fällen sparen.
Die neuen
Erkenntnisse sollen in neue österreichische Normen einfließen. Die
internationale Betonbau-Gesellschaft fib (Fédération internationale du
béton) zeichnete nun Patrick Hubers Dissertation über die Tragfähigkeit
von Spannbetonbrücken aus, die er bei Prof. Johann Kollegger vom
Institut für Tragkonstruktionen der TU Wien geschrieben hatte.
Experimente für bessere Rechenmodelle
„Normen
müssen ein breites Spektrum an verschiedenen Belastungsszenarien
abdecken und für alle erdenklichen Fälle auf der sicheren Seite liegen“,
erklärt Patrick Huber. „Allerdings ändern sich die Normen auch im Lauf
der Zeit. Zum einen, weil der Verkehr zugenommen hat und die Belastungen
heute größer sind, zum anderen aber auch, weil durch bestimmte Versuche
ein deutlich besseres Verständnis für das Tragverhalten entstanden ist.
Bei Spannbetonbrücken gibt es leider noch nicht so viele Experimente,
dadurch wird ihre Tragfähigkeit von der Norm zum Teil deutlich
unterschätzt.“
Das Team der TU Wien führte daher nun aufwändige
Experimente durch: Spannbetonträger mit einer Länge von 14m und 75cm
Höhe wurden mit hydraulischen Pressen gezielt belastet, bis sich große
Risse bildeten und die Versuchsträger schließlich versagten. Durch die
Erkenntnisse aus diesen Versuchen wurde von Patrick Huber ein
Berechnungsmodell erstellt, mit denen sich die Tragfähigkeit von Brücken
viel realistischer beurteilen lässt als bisher.
„Die Modelle in
den heutigen Normen gehen davon aus, dass die Stahlbewehrung im Beton
die gesamte Last aufnehmen muss“, sagt Tobias Huber, der das
Forschungsprojekt gemeinsam mit Patrick Huber derzeit weiterführt. „Doch
wie sich zeigt, hat auch der Beton selbst noch eine beträchtliche
Tragfähigkeit - selbst dann noch, wenn sich bereits ein Riss ausgebildet
hat.“ Wenn man diese Eigentragfähigkeit des Betons mitberücksichtigt,
ergibt sich eine deutlich höhere Belastbarkeit. Diese Erkenntnis ist
wichtig für die Entscheidung, welche Brücken in Zukunft verstärkt werden
sollen.
In Österreich sorgen die Forschungsergebnisse bereits für großes Interesse –
bei einem Brückentragwerk auf der Tauernautobahn konnte aufgrund der
neuentwickelten Berechnungsmodelle bereits auf teure
Verstärkungsmaßnahmen verzichtet werden. Und auch international stoßen
die Forschungsarbeiten an der TU Wien auf Anerkennung: Beim Symposium
der Fédération internationale du béton (fib) in Maastricht am 12. Juni
2017 wurde Patrick Huber nun mit dem „Achievement Award for Young
Engineers“ ausgezeichnet. Dieser Preis wird nur jedes zweite Jahr an
einen herausragenden Nachwuchswissenschaftler aus dem Konstruktiven
Ingenieurbau verliehen.
Finanziert und begleitet wurde das
Forschungsprojekt vom Bundesministerium für Verkehr, Innovation und
Technologie (BMVIT), von der Österreichischen Bundesbahn (ÖBB) und der
Autobahnen- und Schnellstraßen-Finanzierungs-AG (ASFINAG) im Rahmen der
Initiative „Verkehrinfrastrukturforschung“.
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