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Österreichs Brücken: Oft besser als gedacht

Alte Brücken nach neuen Normen zu beurteilen ist schwierig. Untersuchungen der TU Wien zeigen: Viele Brücken sind deutlich stabiler als gedacht, teure Sanierungen sind oft unnötig.

Patrick Huber und Tobias Huber beim Experiment Patrick Huber und Tobias Huber beim Experiment

Es ist eine Entscheidung, die mit sehr hohen Kosten verbunden sein kann: Welche Brücken müssen in nächster Zeit saniert werden, und welche befinden sich noch in gutem Zustand? Viele Spannbetonbrücken in Mitteleuropa wurden in den 1950er und 1960er-Jahren gebaut. Die Brückenbautechnik hat sich seither geändert, die Normen ebenfalls – aber das bedeutet noch lange nicht, dass diese Brücken unsicher sind.

An der TU Wien wurde nun die Tragfähigkeit von Spannbetonbrücken mit Hilfe großangelegter Experimente und Modellrechnungen genau untersucht. Dabei zeigte sich, dass aktuelle Normen das Tragvermögen der Brücken oft deutlich unterschätzen. Die Brücken sind robuster als gedacht, teure Sanierungen kann man sich daher in vielen Fällen sparen.
Die neuen Erkenntnisse sollen in neue österreichische Normen einfließen. Die internationale Betonbau-Gesellschaft fib (Fédération internationale du béton) zeichnete nun Patrick Hubers Dissertation über die Tragfähigkeit von Spannbetonbrücken aus, die er bei Prof. Johann Kollegger vom Institut für Tragkonstruktionen der TU Wien geschrieben hatte.

Experimente für bessere Rechenmodelle

„Normen müssen ein breites Spektrum an verschiedenen Belastungsszenarien abdecken und für alle erdenklichen Fälle auf der sicheren Seite liegen“, erklärt Patrick Huber. „Allerdings ändern sich die Normen auch im Lauf der Zeit. Zum einen, weil der Verkehr zugenommen hat und die Belastungen heute größer sind, zum anderen aber auch, weil durch bestimmte Versuche ein deutlich besseres Verständnis für das Tragverhalten entstanden ist. Bei Spannbetonbrücken gibt es leider noch nicht so viele Experimente, dadurch wird ihre Tragfähigkeit von der Norm zum Teil deutlich unterschätzt.“

Das Team der TU Wien führte daher nun aufwändige Experimente durch: Spannbetonträger mit einer Länge von 14m und 75cm Höhe wurden mit hydraulischen Pressen gezielt belastet, bis sich große Risse bildeten und die Versuchsträger schließlich versagten. Durch die Erkenntnisse aus diesen Versuchen wurde von Patrick Huber ein Berechnungsmodell erstellt, mit denen sich die Tragfähigkeit von Brücken viel realistischer beurteilen lässt als bisher.

„Die Modelle in den heutigen Normen gehen davon aus, dass die Stahlbewehrung im Beton die gesamte Last aufnehmen muss“, sagt Tobias Huber, der das Forschungsprojekt gemeinsam mit Patrick Huber derzeit weiterführt. „Doch wie sich zeigt, hat auch der Beton selbst noch eine beträchtliche Tragfähigkeit - selbst dann noch, wenn sich bereits ein Riss ausgebildet hat.“ Wenn man diese Eigentragfähigkeit des Betons mitberücksichtigt, ergibt sich eine deutlich höhere Belastbarkeit. Diese Erkenntnis ist wichtig für die Entscheidung, welche Brücken in Zukunft verstärkt werden sollen.


 
Erwähnung in österreichischen Fernsehformaten

In Österreich sorgen die Forschungsergebnisse bereits für großes Interesse – bei einem Brückentragwerk auf der Tauernautobahn konnte aufgrund der neuentwickelten Berechnungsmodelle bereits auf teure Verstärkungsmaßnahmen verzichtet werden. Und auch international stoßen die Forschungsarbeiten an der TU Wien auf Anerkennung: Beim Symposium der Fédération internationale du béton (fib) in Maastricht am 12. Juni 2017 wurde Patrick Huber nun mit dem „Achievement Award for Young Engineers“ ausgezeichnet. Dieser Preis wird nur jedes zweite Jahr an einen herausragenden Nachwuchswissenschaftler aus dem Konstruktiven Ingenieurbau verliehen.

Finanziert und begleitet wurde das Forschungsprojekt vom Bundesministerium für Verkehr, Innovation und Technologie (BMVIT), von der Österreichischen Bundesbahn (ÖBB) und der Autobahnen- und Schnellstraßen-Finanzierungs-AG (ASFINAG) im Rahmen der Initiative „Verkehrinfrastrukturforschung“.

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